Das große Fest der Schießgesellen und der
Stadt Herrenberg im Jahre 1478

von Traugott Schmolz (Auszug aus der Festschrift zum 500. Vereinsjubiläum 1978)

1466 traf die Stadt Herrenberg ein großes Unglück. Sie brannte zu Dreiviertel ab. Der Wiederaufbau muß offenbar in einem großen Anlauf ziemlich schnell gelungen sein. Gräfin Mechthild, Gemahlin Graf Ludwigs und Mutter Eberhards im Bart, hatte durch ihre Bittschrift an ihre Untertanen die Hilfe wesentlich unterstützt.
So konnte die Stadt Herrenberg 12 Jahre nach dem Ruin ein Fest besonderer Art vorbereiten. Sie lud am 24. August 1478 die Armbrust- und Büchsenschützen in weitestem Umkreis ein, an einem ganz großen Schießen in Herrenberg teilzunehmen. Es war auf den 24. Oktober angesetzt und sollte je nach Beteiligung mehrere Tage dauern.
Der späte Zeitpunkt für das Schießen (ab 24. Oktober!) hängt wohl damit zusammen, daß in der ländlichen Amtsstadt Herrenberg und in ihren Amtsorten - den Bauerndörfern - der Ablauf des bäuerlichen Jahres, die Feldarbeiten und die Weinlese möglichst abgeschlossen sein sollten, damit man sich diesem großen Fest ganz widmen und hingeben konnte.

Man hoffte viele anzureizen, nach Herrenberg zu kommen. Dazu wurde bei dem Buchdrucker Mancz in Blaubeuren ein Schützenbrief, ein Einladungsschreiben, in Druck gegeben. Unter den bekannten und erhaltenen Schützenbriefen jener Zeit, die von anderen Städten ebenso ausgesandt wurden, ist der Herrenberger Schützenbrief der erste, der in Buchform gefertigt war, und nicht in Plakatform, wie sie die anderen Städte drucken ließen. Er hatte 8 Seiten und dürfte in einer gewissen Auflagehöhe gedruckt worden sein. Von allen ist nur ein Exemplar noch bekannt.

 

Es ist dies das Stück, das an die Stadt Kitzingen am Main gesandt wurde. Die Einleitung heißt (an unsere heutige Schreibweise angeglichen): "Den ehrsamen und weisen Bürgermeistern und Räten zu Kitzingen dazu allen Schießgesellen der Armbrust und Handbüchsen daselbst, unseren besonderen lieben und guten Freunden entbieten wir, dies nach benannten Vogt Bürgermeister und Richter der Stadt zu Herrenberg und dazu wir Schützenmeister und Schießgesellen gemeinsam der Armbrust und Handbüchsenschützen der vorgemelten Stadt unseren freundlich willigen Dienst und alles Gute voraus ..."

Sicherheit und freies Geleit für die Zeit der Dauer und der Reise wurde allen zugesichert, die zu diesem Schießen und "Kurtzwyl" kommen würden ausgenommen seien die in Acht lebenden und die Feinde des gnädigen Herren und der Herrschaft und denen das Land und die Stadt Herrenberg verboten war.

Schirmherr des Festes und aller Beteiligten war Graf Eberhard im Bart, aus dessen gütiger Bewegnis, seiner Gunst, Wissen und Willen das ganze vonstatten gehen sollte. Leiter und Ausrichter waren Vogt, Bürgermeister und Richter und die Schützenmeister und Schießgesellen der Armbrust-und Handbüchsenschützen. Wer teilnehmen wollte, sollte in der Nacht des Sonntags nach St. Gallustag zu Herrenberg sein. Beide Schießen sollten dann am Montagmorgen "so die Glock achte schlecht" anfangen. Es sollte bis 4 Uhr zu Abend so viel geschossen werden als ohne Gefahr möglich war. Auch an jedem folgenden Tag sollte so verfahren werden, daß


um 8 Uhr begonnen und um 4 Uhr zur Nacht jeweils aufgehört wird.

Es waren eine lange Reihe wertvoller Preise vorgesehen und so eingeteilt, daß je die gleiche Anzahl der Clainet (Kleinode = Preise) für die Armbrustschützen und Büchsenschützen in jeweils besonderen Schießen vorhanden waren.
Der erste Preis bestand in 40 Gulden "alles eitel guter und genehmer Rheinischer Gulden in Gold" (1 Rhein. Gulden = 4 Gulden und 7 Kreuzer handelsüblicher Art nach den Anmerkungen des Staatsarchivs vom Jahre 1866).

Die Preise waren weiter gestaffelt:
2. Preis 35 Gulden, 3. = 30 G., 4. = 25 G., 5. = 20 G., dann 6. Preis 19 Ellen lindisch (Londoner = englisches) Tuch, 7. 18 Ellen dto., 8. 17 Ellen, 9. 16 Ellen, 10. 15 Ellen, 11. 14 Ellen, 12. 13 Ellen, 13. 12 Ellen, 14. 11 Ellen, 15. 10 Ellen, 16. 9 Ellen, 17. 8 Ellen, 18. 7 Ellen, 19. 6 Ellen "alles lindisch Tuch yetlich elen umb ain Rinischen Gulden, der 20. Preis ein silberner Becher von 10 Lot Silber für fünf Gulden, 21. ein silberner Becher "von einer halben Mark" für 4 Gulden, 22. eine silberne Schale für drei Gulden, 23. eine solche für zwei Gulden und der 24. Preis ein goldener Ring für einen Gulden.
Zur Bezahlung dicser Preise gaben die Herrenberger Armbrustschützen sowie die Büchsenschützen je 20 Gulden frei voraus in den "Toppel" (in den Topf) in dem dann von jeder Armbrust die teilnahm noch "ein ort = ein Viertel eines Gulden" (nach der Anmerkung auf der Abschrift des Staatsarchivs vom Jahr 1866) gegeben werden mußte, während die Umlage bei den Büchsenschützen "nach glycher Anzahl" (ohne Nennung des Einzelbetrages) bezahlt werden mußte.

Mit der Armbrust wurde von einem Sitz aus "auf ain unverserte umbschijbende (umscheibende = scheibenförmig umgebende) Zylstat" in einem Zirkel von 13 cm Durchmesser, wie er auf der Rückseite des Einladungsschreibens aufgezeichnet ist, geschossen. Die Entfernung sollte hier das l6fache der Länge der weißen Schnüre haben, die der Einladung beigefügt waren. Da diese Schnüre fehlen, kann die damals vorgegebene oder vorgeschriebene Entfernung nicht mehr angegeben werden,

 

doch darf auf die in der allgemeinen Darstellung der Herrenberger Schützengeschichte versuchte Berechnung nach Straßburger Verhältnissen hingewiesen werden. Es sollten von jedem Schützen auf jede Scheibe 40 Schuß abgegeben und dann die Treffer und die daraus sich ergebenen Gewinne festgestellt werden. Als Treffer mit einem Punkt bewertet wurde der Schuß, bei dem der Bolzen den Zielkreis berührte. Zur Feststellung der Ergebnisse wurden aus jeder teilnehmenden Stadt ein Schießgeselle ausgewählt.
Wer die meisten Treffer erzielt hatte, soll e die besten "abentur" bekommen. Die weiteren gestaffelten Preise wurden den Treffern entsprechend zugesprochen.
Die Bolzen mußten von der Hand des geschworenen Herrenberger Stadtschreibers gezeichnet sein. Ein unbeschrifteter Bolzen durfte nicht abgeschossen werden. Der Schuß mußte aufrecht auf freiem Stuhl ohne anzulehnen abgegeben werden, mit freiem schwebenden Arm und abgetrennten Wamsärmeln, daß die Säule (der Schaft) die Achsel und der Schlüssel (der Abzugsbügel) die Brust nicht berührten, so daß kein unlauterer Vorteil den Schuß und das Ergebnis beeinflussen konnte. Wer dagegen verstieß oder zwei Bolzen zussammen abschoß, dessen Armbrust war den anderen Schießgesellen verfallen. Diese straften dann auch den unfairen Schützen nach ihrem Befinden.

Den "geschworen Zilern", den Zeigern, wurden zwei ehrbare geschworene Gerichtsmitglieder der Stadt Herrenberg beigegeben mit gleichem Recht, damit jedem Teilnehmer sein gebührendes Recht gewahrt bleibe, ohne alle weitere Haftung. Den Handbüchsenschützen waren die gleichen Preise, wie den Armbrustschützen, zugedacht. Auch waren Beginn und Ende des Schießens gleich wie bei den Armbrustschützen. Sie hatten zur vorgeschriebenen Zeit an der Herberge zu sein und sollten gemeinsam mit den Handbüchsenschützen beginnen. Es sollten je 3 Schuß auf eine unversehrte Scheibe mit einem Durchmesser von 2 1/2 Ellen Herrenberger Stadtmaß abgegeben werden. Die Entfernung war mit der zwanzigfachen Länge der dem Schreiben beigelegten schwarzen Schnüre vorgesehen.


Diese Schnüre fehlen ebenso, so daß auch für die Büchsenschützen die Entfernung nur vergleichsweise angenommen werden kann.
Es mußte vom Stand aus aufrecht mit freiem schwebendem Arm und abgetrennten Wamsärmeln ohne Schnur, ohne Riemen und ohne Rauchpfanne geschossen werden. Die Handbüchse mußte vorne ein "schlecht = schlicht absehen", d. h. ein einfaches Korn und hinten ein Löchlein oder ein "offenes schentzlin" (eine Kimme) haben. Die Büchse durfte die Achsel nicht berühren; das Verschießen von zwei Kugeln auf einmal stand unter der gleichen Strafanordnung, wie bei den Armbrustschützen. Versagte die Büchse den Schuß innerhalb des Standes, so durfte sie nicht außerhalb desselben abgeschossen werden. Versagte sie dreimal, so hatte der Schütze alle drei Schüsse verloren (für die er ja in den "Toppel" seine Umlage eingelegt hatte). "ohne alle Einred" = Einspruch.

Wenn beim Stechen eine Anzahl Schützen das gleiche Resultat erreichten, sollte der Zirkel der Scheibe um eine Elle Weite erweitert werden und welcher Schütze ihn nun berührte, der "behauptete" sich solange, bis er davon geschossen wird.
Wer nun, ob Armbrust- oder Büchsenschütze, einige Treffer erzielt hatte, ohne unter die Gewinner gekommen zu sein, der hatte die Chance mit einem weiteren Schuß die 1 1/2 Ellen Tuch, die für diesen Fall zusätzlich ausgesetzt waren, zu gewinnen.
Selbst die Schützen, die gar nie ins Ziel getroffen, die die Scheibe ganz verfehlt hatten, durften noch einen Ritterschuß tun. Der jeweils Beste von den Armbrust-und Büchsenschützen bekam eine Elle Lindisch Tuch.

Die Teilnehmer an diesem großen Schießen in Herrenberg, die die weiteste Reise aus ihrem Heimatort nach hier machen mußten, bekamen je einer von den Armbrust- und Büchsenschützen eine Elle Lindisch Tuch zum voraus.
Um dem Fest, das dieses große Schießen eigentlich sein sollte, einen besonderen Reiz zu geben, wurden ein "Glückshafen" und verschiedene Wettkämpfe für alle "guten Gesellen" und alle "guten Frauen", die "um

 

Kurzweil willen zu solchem Schießen kommen", veranstaltet.

Für die Armbrust- und Büchsenschützen war je gesondert ein Wettlauf über 300 Schritte (ca. 225 mtr.) gewissermaßen als "2. Pflicht" ausgeschrieben und dafür je eine Elle Lindisch Tuch als Preise ausgesetzt. Auch alle "guten Gesellen", also alle unbescholtenen männlichen Besucher des Festes, "die nit geschossen haben", konnten an einem Wettlauf über 300 Schritte teilnehmen. Ausgesetzt war wieder für den Besten 1 Elle Lindisch Tuch. Das geradezu Volksfesthafte an diesem großen Schießen dürfte vor allem in dem weiteren Wettlauf zu sehen sein: zwei Preise, "Zwo abentüren", die eine ein Pfund Heller, die andere 10 Schilling wert, wurden für einen Wettlauf über 200 Schritte (ca. 150 mtr.) für alle guten Frauen" ausgesetzt: "die Erst zum Zil das best, die ander (die zweite) das ander stuck".

Ein "ehrbar Kegeln um etlich gute Kleinod" wurde ebenso veranstaltet wie ein "Ringen mit geschrenkten gefaßten Armen unter einer gürtel von ungarischem Leder", für alle guten Gesellen, die um Kurzweil willen kamen. Der Beste wurde hier "nach Ansicht verständiger ehrbarer Leute, die dazu geordnet" ermittelt und bekam eine Elle Lindisch Tuch.
Der gleiche Preis wurde dem zugesprochen, der als Bester aus einem besonderen Weitspringen "als drei spring uf einem Fuß" ermittelt werden konnte.
Waren diese sportlichen Wettkämpfe mehr durch Gewandtheit und Körperkraft als mit Glück allein zu gewinnen, so war der Glückshafen der Teil des Festprogramms, der durch die Spannung des Glücksspieles seine magische Wirkung und Anziehungskraft ausübte.

Als Gewinne waren ausgesetzt: 1. 10, 2. 9, 3. 8, 4. 7, 5. 6, 6. 5 Gulden in Gold, weitere 9 gestaffelte Gewinne waren 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3 und 2 Ellen rheinisches Tuch, nicht minder (schlechter) als "Butspacher" Tuch. Ein "Seydin Gefränß" Seidenfransen) für 1 Pfund Heller, je ein Schleier für drei, dritthalben (2 1/2), zwei, eineinhalb und einen Gulden vervollständigten die Gewinnliste.


Die Teilnehmer am Glücksspiel mußten ihren Namen auf einen Zettel schreiben lassen und dafür drei Pfennige oder einen Etsch-Kreuzer bezahlen. Jeder konnte mehrere Zettel mit seinem Namen versehen lassen, wenn er für jeden die gleiche Summe bezahlte. Auch konnte man ein solches Los für einen anderen erwerben, indem man den Namen des Betreffenden auf den Zettel schreiben ließ; also für die Frau, die Kinder, die Ehehalten = Gesinde, fremde oder heimische Freunde, ferne, nahe, junge oder alte, heißt es, doch mußte dann immer auch der Name dessen, der den Zettel "einlegte" mit darauf geschrieben sein, "daß man wisse wer für sie eingelegt hab".

Die mit Namen versehenen Zettel wurden nun alle gezählt und in ein Fäßlein getan. Darauf wurden ebenso viele unbeschriebene Zetiel "uff die andern sytten auch in ain veßlin" gelegt. Daraus wurden dann so viele Zettel wieder herausgenommen "als der abenturen (Gewinne) sind" und die einzelnen Preise darauf geschrieben. Nun wurden diese unter die leeren Zettel gemischt und die Fäßlein verschlossen. Zwei besonders ausgewählte "Erber Lut (Leute aus der Ehrbarkeit der Bürgerschaft) die darum globen" (darum geloben = schwören) und der geschworene Stadtschreiber setzten nun eine junge "ungefährliche" Person, die nicht schreiben konnte, zwischen die Fäßlein und ließen dieses Kind nun aus jedem derselben mit einem Griff links und rechts je einen Namenszettel und je einen Gewinn- oder Leerzettel herausnehmen, um sie dann zu "besehen" und zu verlesen.

Auf diese Weise wurden die Gewinne und die Gewinner schnell ermittelt. Wessen Name nun am Anfang der Lotterie als erster überhaupt herauskam, der bekam außer dem möglichen Gewinn eine Elle Lindisch Tuch. Ebenso bekam derjenige Teilnehmer, dessen Name nach dem letzten Gewinner aus dem Fäßlein gezogen

 

wurde, auch eine Elle Lindisch Tuch. Damit alle diese Veranstaltungen wirklich im "Rahmen" des großen Preisschießens in Herrenberg standen - sie waren die vielseitigsten überhaupt, die zu damaliger Zeit in ein Schützenfestprogrammaufgenommen waren - wurde zum Abschluß für alle Schützen, die nicht um Preise geschossen hatten, ein Bogenschießen durchgeführt.

Jeder konnte drei Schüsse mit drei Pfeilen auf eine unversehrte schwebende Scheibe von einer Elle Durchmesser abgeben. Es durfte kein anderes Geschoß verwendet werden.

Im Einladungsschreiben war vorgesehen, die Scheibe in einem Feld oder in eine Wiese, also nicht in der eigentlichen Schießbahn "frei empor" aufzustecken. Der Abstand vom Stand zur Scheibe sollte 80 Schritte (fünffer mer oder mynder on geuarlich = fünf mehr oder weniger ohne Gewähr) also rund 60 Meter betragen. Wer dem "Zweck" (dem Nagel) in der Mitte der Scheibe am nächsten kam, hatte die dafür ausgesetzte 1 1/2 Ellen Lindisch Tuch gewonnen. Mit diesem Programmpunkt war eine der vielseitigsten Veranstaltungen dieser Art abgeschlossen.

Außer dem Herrenberger Schießbrief, den die Kitzinger Schießgesellen aufbewahrt haben, und der im dortigen Archiv neben 32 handgeschriebenen Ladeschreiben der einzige gedruckte und dazu noch der einzige in Buchform überhaupt ist, erinnert in den Herrenberger Bürgermeisterrechnungen von 1477/78 nur noch folgender Eintrag an dieses groß angelegte Schießen in unserer Heimatstadt: "It. den armbrost und buchßenschützen von Calw geschenckt 17 Maß Wins tut 11 Schilling... It. den Büchßenschützen von Calw, Wiltperg, Tüwingen und Nagelt alz man umb den Hamel schoß geschenckt II fiertel Win thut VIII (8) Schilling".